Regierung ohne Volk by Ursula Weidenfeld

Regierung ohne Volk by Ursula Weidenfeld

Autor:Ursula Weidenfeld
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644100190
Herausgeber: Rowohlt E-Book


Das Establishment igelt sich ein

Die etablierten Medien spielen seit Jahren eine Reise nach Jerusalem. So wie bei dem Kinderspiel in jeder Runde ein Stuhl zu wenig im Kreis stehen bleibt, werden auch in den Redaktionen die Plätze knapp. Die Auflagen sinken, die Einschaltquoten schmelzen, die Anzeigenkunden verabschieden sich. Zeitungen werden geschlossen, Redaktionen fusioniert, Sender zu Spartenkanälen eingedampft, Frequenzen zurückgegeben. Nicht alle können den neuen Zeiten Positives abgewinnen.

Lieber ziehen sich die bisherigen Hüter der öffentlichen Meinung in ihre Wagenburg zurück. Sie diskutieren über Jürgen Habermas’ Diskurstheorie und Pierre Rosanvallons Vorstellungen vom guten Regieren und gruseln sich anschließend gemeinsam beim Blick in die Niederungen der Facebook- und Twitter-Kommunikation. Die etablierten Medien grenzen sich damit ebenso wie die Politik vom gemeinen Bürger ab und beschränken sich auf den Dialog innerhalb der Groß- und Landeshauptstädte.

Der wird von den Insidern und Informierten gepflegt. Es ist ein Gespräch unter Gleichen. Man teilt die Vorliebe für achtsames Leben, natives Olivenöl und teuren Rotwein. Man betont die Bedeutung gendergerechter Sprache und erörtert sehr ernsthaft, ob Kinder im Grundschulalter alle sechzig Bezeichnungen möglicher sexueller Identitäten jenseits von Mann und Frau kennen sollen. Man spricht dieselbe Sprache und sorgt sich um die Demokratie.

Die Vertreter dieser Klasse teilen oft schon die Erinnerungen an ein Studium an den wichtigen Universitäten der Republik, also in Berlin, München, Hamburg oder Heidelberg. Sie wohnen in Berlin in denselben Milieus, nämlich im Prenzlauer Berg, in Pankow oder Kleinmachnow. Ihre Kinder besuchen dieselben konfessionellen oder internationalen Schulen. Man trifft sich in Hintergrundkreisen, am Rand des Hockeyfeldes oder beim Bundespresseball. Man ist untereinander verheiratet oder verpartnert. Der Vorwurf, die Journalisten seien schon lange Teil des politischen Establishments, wird immer wieder an den Frühstückstischen des Landes bewiesen, sei es nun der von Altbundespräsident Joachim Gauck, von FDP-Chef Christian Lindner oder (bis vor kurzem) von Altbundeskanzler Gerhard Schröder.

Die Nähe zur Macht bestimmt über die Hackordnung der Hauptstadtjournalisten. Wer regelmäßig im Regierungsflieger der Kanzlerin mitreisen darf und zu den gelegentlichen Hintergrundterminen ins Kanzleramt geladen wird, steht ganz oben in der Hierarchie. Das sind ein paar Chefredakteure, Herausgeber und Büroleiter der Hauptstadtredaktionen. Ob ein Sommerfest der Redaktionen und Sender ein Erfolg ist, bemisst sich nicht am Wetter, an der Musik oder dem Essen. Der Headcount entscheidet: War die Kanzlerin da? Wolfgang Schäuble? Ursula von der Leyen? Wie viele Minister insgesamt? Für die prominente Gästeliste machen die Verlage und Intendanten die Hauptstadtredaktionen verantwortlich. Wer die besten Gäste heranschafft, hat den besten Ruf.

Dieses Gift wirkt schleichend. Man überwirft sich nicht gern mit denen, die man am Ende immer wieder braucht: für exklusive Nachrichten und Hintergrundinformationen, für die Einladungen zum Mitreisen, die Gästelisten der Redaktionspartys und verlagseigenen Politikkonferenzen.

Mit dem Leben von Menschen fernab der politischen Zentren hat das oft nicht mehr viel zu tun. Allein die erstaunten Blicke vieler Hauptstadtreisender in die Schaufenster des Politikbetriebs zeigen, wie fern der Berliner Alltag ihnen erscheint. Wenn sie abends durch die bodentiefen Fenster der Microsoft-Hauptstadt-Dependance oder der Telekom-Repräsentanz schauen, sehen sie die politische Klasse im hell erleuchteten Gespräch mit sich selbst. Winzersekt wird gereicht, Flying Buffet herumgetragen. Manchmal spendiert der Zigarettenverband ein paar Schachteln Rauchware, oft gibt es vegane Häppchen.



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